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Andrea R. Stoll (M.A.)

Dr. Peter Lodermeyer

Katalog

von Dr. Peter Lodermeyer
Kunsthistoriker Bonn

Die nichtgegenständlichen Bilder von Bettina von Witzleben sind mit den klassischen Kategorien der Malerei nicht angemessen zu beschreiben. Das rührt vor allem daher, dass der Materialcharakter ihrer Arbeiten von besonderer Wichtigkeit ist. Farbe wird, wie die Karlsruher Künstlerin betont, für sie erst dann interessant, wenn sie nicht nur visuell als Kolorit, sondern zugleich als körperlicher, taktiler Wert erfahrbar ist. Um diese Qualität in ihren Arbeiten zu steigern, setzt sie Farbigkeit eher sparsam ein und konzentriert ihre Palette vorwiegend auf Weiß, Schwarz, Grau und unterschiedliche Erdtöne. Vor allem aber belebt sie die Oberflächen ihrer Bilder immer wieder mit Sand, den sie mit einer halbtransparenten, ein leichtes Relief erzeugenden Paste fixiert. Meist handelt es sich dabei um schwarzen, feinkörnigen, zuweilen staubfeinen Lavasand von den Kanarischen Inseln, gelegentlich auch um helleren Quarzsand.

Bei kleineren Formaten kommt als Material zusätzlich auch Bienenwachs zum Einsatz. Doch auch bei den eigentlichen Farbsubstanzen, die von Witzleben für ihre Arbeiten verwendet, sind die Materialeigenschaften von entscheidender Bedeutung für die Bildwirkung. So lässt sie zum Beispiel weiße Tusche in Rinnsalen so über die Oberfläche fließen, dass sich komplizierte Netzformen, Linienüberlagerungen und faszinierende Krakelees ergeben wie in „Solo“, Strukturen also, die den flüssigen Aggregatzustand der Farbe während des Arbeitsprozesses als Spur bewahren. Wo Spraypaint zum Einsatz kommt, bleiben im Nahblick die Tröpfchen des Sprühnebels erkennbar, sodass die Acrylfarbe als ein auf die Leinwand gefallener hauchfeiner Niederschlag erscheint.

Die Bilder von Bettina von Witzleben lassen stets einen Naturbezug erkennen, ohne auch nur im Geringsten abbildhaft zu sein. Die Naturanmutung ergibt sich ganz aus den Eigenschaften der von ihr verwendeten Materialien und ihrem Verhalten im Malprozess, dessen Ergebnisse nie vollständig vorhersehbar oder gar kalkulierbar sind. Der Ausstellungstitel „Treibsand“ ist dafür bezeichnend. Er verweist auf das Material Sand, deutet aber zugleich auch die ebenso dynamische wie abgründige Anmutung der Bilder an. Als Treibsand bezeichnet man ein Gemisch aus Sand und Wasser, das sich unter bestimmten Bedingungen wie eine zähe Flüssigkeit verhält. In den drei hochformatigen Arbeiten „Treibsand I-III“ fließen irreguläre Gebilde aus weißer Tusche von oben in die Bildfelder hinein und treffen auf teils kompakte, teils lockere, wie ausgeschwemmt wirkende Strukturen aus Sand.

Auf einen anderen Naturzusammenhang weisen die auf den ersten Blick unverständlichen Titel von Arbeiten wie Lanin, Solo, Galan, Porak, Trocon und Pular. Man könnte sie zunächst als Fantasietitel voller poetischer Allusionen ansehen, es handelt sich aber um die Namen von Vulkanen in Argentinien, einem der vulkanreichsten Länder der Erde. Neben der dezenten biografischen Anspielung – Bettina von Witzleben wurde in Córdoba, der zweitgrößten Stadt Argentiniens geboren – deuten die Titel auf die „vulkanische“ Anmutung der Bilder selbst. „Vulkanisch“ meint hier die formalen Strukturen und nicht etwa nur die naheliegende Assoziation, die sich mit dem Material Lavasand verknüpft. Ein gutes Beispiel ist das 2014 entstandene hochformatige Bild „Lanin“. Dort sieht man, wie schwarze Farbmaterie aus der unteren Dunkelzone nach oben in die helle, rötlich aufglühende Atmosphäre geschleudert wird. Dieser eruptiven Bewegung stehen die nach unten abfließenden Rinnspuren weißgrauer Farbe entgegen. Die gegenläufigen vertikalen Bewegungen werden von einer bizarr verzweigten weißen Farbform horizontal durchkreuzt, womit auch die Landschaftsandeutung des Hintergrunds durchbrochen und partiell aufgelöst wird. Noch einmal: Es geht nicht um die abstrahierende Abschilderung von Naturtatsachen, sondern um die naturhafte Kraft und Dynamik des Materials und seiner Formbildung. Eine solche dynamische Kraftentfaltung ist z. B. auch in „Pular“ zu beobachten, wo sich eine weiße Linie vom oberen Rand her über die gesamte Bildhöhe zieht, durch verschiedene Bildzonen und Formen hindurch bis zum unteren Rand durchläuft, als ob ein Blitzschlag aus der Höhe eingeschlagen wäre und die elektrische Energie sich unterirdisch verbreiten und in verschiedene Richtungen abfließen würde.

Einen beinahe landschaftsartigen Eindruck machen die horizontal verlaufenden amorphen, stets mit Sand durchsetzten Formgebilde, die sich in zahlreichen Bildern über die gesamte Breite hinziehen, als ob eine dickflüssige Masse in der Fließbewegung erstarrt wäre und sich dabei selbsttätig unterschiedliche Formen, Auslassungen und überraschend fragile lineare Strukturen herausgebildet hätten. Die sechs jeweils 100 x 100 cm messenden, vielfältig miteinander kombinierbaren Bilder der Serie „Grauwerte“ sind dafür ein hervorragendes Beispiel. Vor subtil nuancierten grauen Farbfeldern erstrecken sich in eigenartig organisch anmutender Plastizität dunkle, durch unterschiedliche Körnungsdichte strukturierte Bänder quer über die Bildfelder wie erstarrte Lava und bilden Formen von fremdartiger Schönheit.

In vielen Bildern finden sich einfache lineare Strukturen, welche den naturhaften, eher amorphen und fließenden Formen der Farbmaterie eine klare zeichnerische Spur entgegensetzen. Oft sind es Kreise oder Kringel, manchmal parallele Striche, die deutlich machen, dass hier nicht das eigentätige Material, sondern die Hand der Künstlerin am Werk war. Nicht immer sind diese Formen so dominant ins Bild gesetzt wie in „Schwarze Collage II“, wo sich schwarz und schwarz-weiß konturierte zweireihig geordnete Kreise nahtlos aneinanderfügen. Oder auch in „Galan“ oder „Porak“, die beide jeweils einen kräftig ausgebildeten schwarzen Ring aufweisen, der – in Zusammenhang mit den Vulkannamen – immerhin noch an eine abstrahierte Krateröffnung denken lassen könnte. Oft sind diese zeichnerischen Eingriffe so subtil eingesetzt, dass man sie nicht auf den ersten Blick bemerkt.

Ungemein wichtig für die Bildwirkung z. B. von „Lipez“ ist die Hinzufügung von drei kleinen weißen Kringeln, die links oben auf der amorph im Bildfeld schwebenden, stark von schwarzem Lavasand durchsetzten Form aufsitzen. Ohne diese eher unscheinbaren Formen wäre das Bild ein völlig anderes. Sie stellen eine sprachlich schwer zu beschreibende abstrakte Relation zu der Farbmaterie her, eine intentionale, willentliche Setzung, einen Kommentar, eine Ergänzung, eine zusätzliche Information.

Ein weiteres Beispiel dafür ist „Aus Asche und Licht II“. Der suggestive Titel macht schon deutlich, worum es hier geht: wieder zeigt sich ein komplexes dynamisches Bildgeschehen, eruptive Farbausbrüche und fließende Farbsubstanzen, die Sandpartikel ausschwemmen und im Fluss mit sich reißen. Das auffälligste Formmotiv ist die sich kräftig von den Grautönen des Hintergrunds abhebende rote Linienschlinge, die im Bildfeld zu hängen scheint. Wichtig ist nun, dass ihr äußerster, nach rechts unten reichender Ausläufer durch die Hinzufügung von 5 parallelen Strichen an die axial durchs Bild laufende graue Fließform angeschlossen wird. Durch diese Ergänzung ergibt sich ein größerer formaler Zusammenhalt in der Fläche. Es sind also nicht nur die Materialeigenschaften und die Dynamik des Malprozesses, sondern ebenso die subtilen zeichnerischen Eingriffe, die ganz erheblich zu der spannungsvollen Wirkung der Bilder von Bettina von Witzleben beitragen.